Obwohl die Sexualität für Jungen* ein bedeutender Identitätsfaktor ist, bleibt der (offenere) Umgang mit den Bedürfnissen, Ängsten und Schwächen eines der größten Tabus im Rahmen ihrer Sozialisation. Die Sexualaufklärung beschränkt sich in der Regel auf der Ebene der schulischen Wissensvermittlung, die oft bei biologischen Fakten endet. Und selbst die sind häufig nicht als nachhaltiges Wissen gespeichert. Mit der psychosozialen und emotionalen Auseinandersetzung bleiben die Jungen* nicht selten allein. Vereinzelt erhalten sie authentische Informationen oder Erfahrungen von älteren Geschlechtsgenossen, bei denen nicht mit Phantasiebeschreibungen oder puren Übertreibungen gearbeitet wird. Durch diese Situation gezwungen, müssen Jungen sich andere Informationsquellen suchen, die sie mit Wissen um die männliche Sexualität bereichern. Mit dem Stigma "sexuell-unerfahren-zu-sein" erleben sie ab einem bestimmten Alter im peergroup-Zusammenhang einen sozialen Statusverlust, der ihr Ansehen innerhalb dieser Gruppe erheblich senkt. Wenn sie direkte Fragen stellen würden, gäben sie ihr Wissens- und Erfahrungsdefizit öffentlich preis, was zu einem erneuten Verlust von Anerkennung führen würde. Als angehender Mann stellt man keine Fragen, sondern besitzt entweder Erfahrung oder schweigt. So werden Phantasiewelten kultiviert und Gefühle wie Angst, Scham oder Unsicherheit finden selten einen geeigneten Platz.
Digitale Medien sind für die suchenden Jungen* hinsichtlich ihres Informationsbedarfes eine naheliegende Quelle. Videofilme, (Jugend-)Zeitschriften und zunehmende Nutzung des Internets stillen scheinbar einen Großteil ihrer Bedürfnisse, führen aber auch zu beschränkter Wahrnehmungserfahrung. Da ihnen häufig keine andere "authentische" Quelle für die Sexualaufklärung zur Verfügung steht, können problematische Medieninhalte eine große Bedeutung für sie bekommen. Sexualisierte Bilder vermitteln oft Rollenstereotypen. Die Jungen* erfahren, dass männliche Sexualität hauptsächlich mit Leistung, Körper und Geschlechtsverkehr einhergeht und Frauen* jederzeit und reichlich für Sexualkontakte lustvoll zur Verfügung stehen. Dass ihre Realität diese pornographischen Sichterfahrungen nicht erreicht, erfüllt sie dann eher mit Frust, Druck und Angst, diesen Leistungserwartungen nicht entsprechen zu können. Zärtlichkeit und Kuscheln, Vorsichtigkeit und Langsamkeit bringen ihre Weltsicht durcheinander. Sexualität hat auch Berührungspunkte mit Gewalt. Grenzverletzungen und körperliche Übergriffe finden auch über den Weg der Sexualität statt und führt in eine Opfer- und Täterdynamik (sexuelle Gewalt, Vergewaltigung, sexuelle Belästigung). Aus diesem Blickwinkel betrachtet, muss die Annäherung an dieses Thema mit der Vertrauensbildung und der Ausbildung kommunikativer Fähigkeiten einhergehen, um ihnen Mut und Kraft zu geben, sich mit diesen von Männern* (tabuisierten) Themenfelder auseinanderzusetzen und eigene Positionen zu finden. Und Sexualität eben auch als eine intime Form der Beziehung und des Kontaktes zwischen zwei Menschen zu sehen. Ein weiterer entscheidender Faktor der eigenen Einengung des Themas stellt die Fixierung auf die Heterosexualität dar. Für Jungen* ist es fast nicht vorstellbar und meistens auch abstoßend Homosexualität zu sehen oder zu denken, obwohl auch hier eigentlich Interesse herrscht.
Falls Sie eine genauere Vorstellung zu einem von mannigfaltig durchgeführten sexualpädagogischen Projektablauf erhalten möchten, empfehlen wir Ihnen den Artikel "Das verdächtige Geschlecht" (Autor Frank Keil) aus der Zeitschrift "Chrismon" - Das evangelische Magazin, Ausgabe 03/2004 - zu lesen. Artikel als pdf-Datei.